Ferien - Zeit für Muße
"Meine Eltern wollen unbedingt, dass ich die ganzen Ferien über lerne. Sie meinen, da ich ja das ganze Jahr so wenig getan habe, muss ich halt nun meine Ferien dafür opfern. Klar sollte ich was tun, aber ich habe null Bock. Ich brauch endlich mal Zeit für mich und will das tun, was ich will. Außerdem habe ich alle meine Bücher abgegeben, also wie und mit was soll ich denn lernen?"
(Kommentar eines Schülers der 7. Klasse Gymnasium)
Hand aufs Herz: Wer von uns Erwachsenen kennt nicht das Bedürfnis, nach einer anstrengenden Arbeitsphase einfach mal nichts zu tun? Sich ausruhen, abschalten und die Seele baumeln lassen. Heute nennen wir das „Chillen“ – früher sprach man von der Muße.
Schon die alten Römer machten eine klare Unterscheidung zwischen otium (Muße, Ruhe von beruflichen Verpflichtungen, widmet sich Wissenschaft, Literatur oder Kunst) und negotium (Arbeit, Geschäft, Aufgabe). Doch diese Begriffe waren weit mehr als nur Worte.
Spannend ist, dass negotium als Negation von otium verstanden wurde – also als die „Nicht-Muße“. Arbeit galt nicht als eigenständiger Wert, sondern als das Gegenteil von dem, was ein freier Bürger erstrebte. In der griechischen und römischen Antike war die Muße – nicht die Arbeit – das Ideal. Arbeit wurde oft mit den Tätigkeiten der Unfreien assoziiert. Dies spiegelt sich sogar in der Herkunft des deutschen Wortes „Arbeit“ wider, das Begriffe wie Mühsal, Sklaverei und Knechtschaft einschließt.
Aber otium bedeutete keinesfalls „auf der faulen Haut liegen“. Es war vielmehr eine Zeit für sinnvolle Beschäftigung mit Kunst, Philosophie, Wissenschaft oder Politik. Das Ziel war der gebildete, allseitig gebildete Mensch – und diese Entwicklung sollte durch Arbeit nicht behindert werden.
Seneca brachte es in De brevitate vitae treffend auf den Punkt:
„Soli omnium otiosi sunt qui sapientiae vacant, soli vivunt.“
(Allein die der Muße und Weisheit hingegeben sind, leben wirklich.)
Es scheinen viele Gründe gegen den Müßiggang zu sprechen. Ich höre förmlich den Vorwurf des Nichtstuns heraus, des Faulseins, des Unproduktiven, des Zeitvergeudens, des Verschleuderns von Handlungspotential. Es schüttelt mich geradezu vor so viel Negativem.
Doch ganz im Gegenteil: Es ist ein Tätigsein in Ruhe und Gelassenheit. Nichtstun ist wertvoll, wir haben es leider verlernt, weil wir kaum noch ausbrechen können aus unserer hektischen Zeit, eingebunden in Termine, Verpflichtungen, Kinder, Schule, etc. Auch unsere Kinder sind stark geprägt von diesem Leistungssystem.
In der Muße liegt eine besondere Kraft. Allerdings braucht sie Zeit. Sie stellt sich nicht gleich am ersten Urlaubstag ein, das dauert schon ein paar Tage bis man in die Ruhe kommt. Aber dann erhält man einen besonderen Schatz. Der Rückzug aus dem Alltag ermöglicht es erst, Menschen und Dinge aus der Distanz zu betrachten. Endlich kann man darüber nachdenken und fühlen, ob Wege, die man eingeschlagen hat auch in die Richtung führen, in die man wirklich gehen will. Unter Druck und Stress können solche Gedanken erst gar nicht entstehen.
Die besten und kreativsten Einfälle entstehen oft dann, wenn wir sie nicht erzwingen. Newtons berühmte Erleuchtung zur Gravitationstheorie kam ihm nicht bei angestrengtem Grübeln, sondern in einem entspannten Moment im heimischen Obstgarten. (Dass ihm dabei ein Apfel auf den Kopf fiel, ist allerdings nur eine Legende.)
Ich wünsche allen eine wunderbare Ferienzeit – Zeit für süßes Nichtstun, Zeit für Muße, und Zeit für die wirklich wichtigen Dinge. Denn manchmal ist genau das, was wir nicht tun, das Beste, was wir tun können.
UK